FUPIC

Projektname
Home-based follow-up care of chronically critically ill patients and their families from the intensive care unit. 

Projektleitung
Marie-Madlen Jeitziner

INS-Projektteam
Michael Simon

Ort der Datenerhebung
Universitätsklinik für Intensivmedizin, Bern, Schweiz

Laufzeit
2025 bis 2026

Projektbeschreibung
Hintergrund
Die Zahl der chronisch kritisch kranken Patient:innen nimmt aufgrund medizinischer, pflegerischer und technologischer Fortschritte stetig zu. Dazu zählen Erwachsene aller Altersgruppen, die durch eine komplexe, bislang wenig verstandene Pathophysiologie mit vielfältigen Symptomen, kurz- und langfristigen Belastungsfaktoren (PICS) sowie einem breiten Spektrum an Versorgungsbedürfnissen gekennzeichnet sind. Hohe Einjahressterblichkeit und häufige Wiederaufnahmen auf Intensivstationen oder in Spitäler sowie die generelle Belastung des Gesundheitssystems führen zu einem komplexen Bedarfsprofil, das durch die derzeitige Versorgung während und nach dem Aufenthalt auf der Intensivstation nicht ausreichend gedeckt wird. Ambulante Nachsorgeangebote im familiären bzw. häuslichen Umfeld fehlen weitgehend. Während ihres Aufenthalts auf der Intensivstation erhalten chronisch kritisch kranke Patient:innen häufig eine maximale intensivmedizinische Behandlung, die mit einem hohen personellen, technischen und finanziellen Aufwand verbunden ist. Nach der Entlassung stehen jedoch nur wenige wirksame, evidenzbasierte Rehabilitations- und Behandlungspfade zur Verfügung. Die Rehabilitation wird zusätzlich erschwert durch mangelnde Kontinuität und Koordination, unzureichende Kenntnisse bei Gesundheitsfachpersonen, unvorhersehbare Krankheitsverläufe sowie wenig bekannte Langzeitkomplikationen, die Patient:innen und ihre Angehören erheblich belasten. Die Literatur zeigt zudem, dass bestimmte Patient:innengruppen bereits heute direkt von der Intensivstation ins häusliche Umfeld entlassen werden, was den zukünftigen Bedarf an Nachsorgeleistungen im privaten Umfeld unterstreicht. Für diese Patient:innengruppe und ihre Familien wird ein neues Versorgungsmodell benötigt, das eine kontinuierliche, bedarfsgerechte Betreuung sicherstellt. Die frühzeitige Einbindung zentraler Anspruchsgruppen ist entscheidend, um Akzeptanz für geplante Veränderungen zu schaffen und nachhaltige Unterstützung zu sichern. Die Mitwirkung von Patient:innen, ihren Angehörigen und Gesundheitsfachpersonen ist deshalb zentral, um ambulante und häusliche Nachsorgestrukturen bedarfsgerecht zu entwickeln. In der Schweiz sind die wenigen bestehenden Unterstützungsangebote für chronisch kritisch kranke Patient:innen nur unzureichend entwickelt. Einzelne Spitäler bieten ambulante oder Nachsorge bei den Patient:innen zu Hause an oder ermöglichen ihnen einen begleiteten Besuch auf der Intensivstation. Da Betroffene und ihre Familien oft über Monate oder Jahre hinweg unter Beeinträchtigungen leiden, sollte die Versorgung möglichst im häuslichen Umfeld erfolgen. Diese Patient:innen und ihre Familien benötigen eine evidenzbasierte, interdisziplinäre Betreuung, die an den Schweizer Kontext angepasst ist. Dafür sind eine sorgfältige wissenschaftliche und praktische Vorbereitung sowie eine systematische Prüfung der Machbarkeit eines solchen Versorgungsmodells erforderlich.

Zielsetzung
Das Projekt FUPIC verfolgt ein zweiphasiges Ziel:
Phase 1: Kontextanalyse

  • Systematische Erhebung der aktuellen Versorgungssituation chronisch kritisch kranker Patient:innen nach einem Intensivstationsaufenthalt in der Schweiz.
  • Identifikation der Bedürfnisse, Ressourcen und Herausforderungen aus Sicht von Betroffenen, Angehörigen und Gesundheitsfachpersonen.
  • Analyse bestehender Nachsorgemodelle und Ableitung von Kontextfaktoren, die die Implementierung eines neuen Versorgungsmodells beeinflussen.

Phase 2: Modellentwicklung und Pilotierung

  • Entwicklung eines interdisziplinären, strukturierten, Nachsorgemodells bei den Patient:innen zu Hause unter Einbezug der Erkenntnisse aus Phase 1.
  • Pilotierung und Evaluation der Machbarkeit, Akzeptanz und ersten Wirkmechanismen der Intervention durch Hausbesuche im häuslichen Umfeld.
  • Vorbereitung einer Folgestudie auf Basis der Erkenntnisse aus der Pilotierung.

Design/Methode
Die Studie ist als qualitative, explorative Pilotstudie mit zwei Phasen konzipiert.
In Phase 1 erfolgt eine Kontextanalyse, die sowohl eine systematische Literaturrecherche als auch halbstrukturierte Interviews mit 10 bis 15 chronisch kritisch kranken Patient:innen und ihren Angehörigen umfasst. Die Interviews werden zwischen drei und sechs Monaten nach der Entlassung aus der Intensivstation durchgeführt und zielen darauf ab, individuelle Bedürfnisse, Konsequenzen des ICU-Aufenthalts sowie Barrieren und Förderfaktoren für die Nutzung von Nachsorgeangeboten zu identifizieren. Ergänzend werden Fokusgruppen mit interdisziplinären Fachpersonen durchgeführt, darunter Pflegefachpersonen (Intensivpflege, Spitex), Ärzt:innen (Intensiv-, Palliativ- und Hausarztmedizin), Psycholog:innen und Physiotherapeut:innen. Die qualitative Auswertung erfolgt mittels induktiver Inhaltsanalyse nach Mayring.
In Phase 2 wird auf Basis der Ergebnisse aus Phase 1 ein strukturiertes, interdisziplinäres Nachsorgemodell entwickelt und im Rahmen von Hausbesuchen pilotiert. Die Intervention wird durch die Projektleitung umgesetzt und umfasst Gespräche zur Krankheitsverarbeitung, Erhebung aktueller Bedürfnisse und Unterstützungsbedarf, sowie Koordination mit weiteren Gesundheitsdienstleistern. Parallel dazu werden verschiedene standardisierte Erhebungsinstrumente eingesetzt, darunter der Impact of Event Scale (IES-R), der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-D), das PICS-Questionnaire (PICSQ) sowie der EQ-5D-5L zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Die Ergebnisse der qualitativen und quantitativen Datenerhebung werden trianguliert, um die Umsetzbarkeit, Akzeptanz und Relevanz der entwickelten Intervention zu beurteilen und eine grössere Folgestudie vorzubereiten.

Erwarteter Nutzen / Relevanz
Ein erfolgreicher Abschluss der Pilotstudie schafft die Voraussetzung dafür, das entwickelte Nachsorgemodell im Rahmen einer multizentrischen Studie zu testen. Bei vielversprechenden Ergebnissen ist geplant, die Intervention gemeinsam mit weiteren Schweizer Akutspitälern in unterschiedlichen Versorgungsregionen zu implementieren und wissenschaftlich zu evaluieren.
Das Projekt FUPIC leistet einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Versorgungslage chronisch kritisch kranker Patient:innen und ihrer Familien in der Schweiz. Es reagiert auf eine zentrale Versorgungslücke nach intensivmedizinischer Behandlung und stellt die Bedarfe einer oft übersehenen Patient:innengruppe in den Fokus. Die erwarteten Ergebnisse ermöglichen es, ein evidenzbasiertes, interdisziplinäres Nachsorgemodell zu entwickeln, das auf den Schweizer Kontext zugeschnitten ist.
Durch die systematische Analyse von Bedürfnissen, Barrieren und existierenden Strukturen liefert das Projekt praxisrelevante Grundlagen für eine nachhaltige Versorgungsgestaltung im häuslichen Umfeld. Die geplante Dissemination (u. a. über Fachpublikationen, Tagungen, praxisorientierte Materialien) stellt sicher, dass die gewonnenen Erkenntnisse in Praxis, Aus- und Weiterbildung einfliessen können. Zudem bildet das Projekt die Grundlage für eine grössere Wirksamkeitsstudie und damit für die wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung von Nachsorgemodellen im Bereich der Intensivmedizin und der Langzeitversorgung. Langfristig kann FUPIC dazu beitragen, die Lebensqualität von Patient:innen zu verbessern, Angehörige zu entlasten und die Versorgungslandschaft in Richtung Kontinuität, Personenzentrierung und Interprofessionalität weiterzuentwickeln.