PEINCA

Projektname

Studie zum Testen der Wirksamkeit des deutschsprachigen PRO-SELF© Plus Pain Control Program, einer Intervention für Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen sowie für ihre Angehörigen zur Reduktion von Schmerzen und damit zusammenhängenden Beschwerden

Mixed methods study to test the efficacy of the adapted German PRO-SELF© Plus Pain Control Program, an intervention directed at outpatients with cancer and their family caregivers to reduce pain and related symptoms.

Subproject
PEINCA-FAM (Sabine Valenta)

Projektleitung
Elisabeth Spichiger

INS-Projektteam
Rebecca Spirig
Sabine Valenta

Externe Projektpartner
Universitätsklinik für Radio-Onkologie, Inselspital Universitätsspital Bern (Kathrin Zaugg) | Zentrum Klinische Pflegewissenschaft, UniversitätsSpital Zürich (Horst Rettke) | Universitätsspital Basel (Sabine Valenta)

Ort der Datenerhebung
Basel, Zürich, Bern

Laufzeit
2015 bis 2020

Projektbeschreibung
Hintergrund
Schmerz ist eines der häufigsten mit Krebs zusammenhängenden Symptome und 33% bis 64% der Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen leiden unter Schmerzen. Obwohl es heutzutage wirksame Behandlungsmöglichkeiten gibt, erhalten mehr als 40% aller Patientinnen und Patienten mit Krebs keine adäquate Schmerzbehandlung. Schmerzen haben jedoch einen negativen Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen, die Kontrolle von Schmerzen sollte deshalb ein Eckstein in der Krebsbehandlung sein.
Gründe für eine ungenügende Schmerztherapie sind einerseits im Gesundheitssystem und bei Fachpersonen zu finden, andererseits tragen Patientinnen und Patienten ebenfalls dazu bei. Fehlendes Wissen und Missverständnisse haben zur Folge, dass Schmerzmedikamente oft nicht wie verschrieben eingenommen werden. Zudem ist das Umsetzen einer Schmerzbehandlung im Alltag eine anspruchsvolle Aufgabe.
In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass mit Interventionen, welche Patientinnen und Patienten mit Krebs und ihre pflegenden Angehörigen im Selbstmanagement von Schmerzen unterstützten, Schmerzen reduziert werden konnten. Der Effekt solcher Interventionen war allerdings bisher moderat. Weitere Studien sind angezeigt. Die geplante multizentrische Studie basiert auf der Forschungsarbeit von Prof. Miaskowski und ihrer PRO-SELF© Pain Control Program (PCP) Forschungsgruppe an der Universität von Kalifornien, San Francisco. Im Rahmen einer Pilotstudie wurde das PRO-SELF© PCP übersetzt und für eine deutschsprachige Bevölkerung angepasst. Machbarkeit der Studie und Durchführbarkeit der Intervention konnten aufgezeigt werden. Aufgrund von Erfahrungen und Ergebnissen der Pilotstudie wurde die Intervention für die multizentrische Studie angepasst.

Zielsetzung
Mit dieser multizentrischen Studie sollte primär die Wirksamkeit des deutschsprachigen PRO-SELF© Plus PCP bezüglich Schmerzreduktion getestet werden. Dieses Edukationsprogramm für Patientinnen und Patienten mit krebsbedingten Schmerzen und ihre pflegenden Angehörigen zielt darauf ab, Betroffene zum Schmerz-Selbstmanagement zu befähigen und damit eine bessere Kontrolle der Schmerzen zu erreichen. Zusätzlich sollte die Wirkung der Intervention auf mit Schmerzen zusammenhängende Beschwerden untersucht werden. Schliesslich sollten Erfahrungen von Studienteilnehmenden mit dem Schmerz-Selbstmanagement und der Studienteilnahme exploriert werden

Design/Methode
Für die Studie wurde ein randomisiert-kontrollierter klinischer Versuch mit einer qualitativen Substudie kombiniert. Nach dem Erfassen von Basisdaten wurden die Studienteilnehmenden zufällig entweder der Interventions- oder Kontrollgruppe zugeordnet. Die Studie dauert sieben Wochen. In beiden Gruppen führten die Patientinnen und Patienten ein Schmerztagebuch. Weitere Daten wurden in der ersten Woche (Basisdaten) und bei Studienende erhoben. Hauptergebnisse waren durchschnittliche und stärkste Schmerzen. Patientinnen und Patienten mit krebsbedingten Schmerzen wurden in den onkologischen Ambulatorien der Universitätsspitäler Basel, Zürich und Bern rekrutiert. Angehörige konnten an der Studie teilnehmen, wenn sie in das Schmerz-Selbstmanagement involviert waren.
Die Intervention, das deutschsprachige PRO-SELF© Plus PCP, umfasste standardisierte und individuell zugeschnittene Komponenten. Patientinnen und Patienten (und Angehörige) erhielten wöchentliche Hausbesuche oder Telefonanrufe während sechs Wochen. Zuerst wurden wesentliche Inhalte desProgramms vermittelt (z.B. Schmerzerfassung, Wissen zu Schmerzmedikamenten), danach wurden Dauer und Inhalte der Besuche/Telefonanrufe den Bedürfnissen der Teilnehmenden angepasst. Das Schmerztagebuch und die verschriebenen Schmerzmedikamente und nötige Anpassungen wurden besprochen. Zudem wurde nach Nebenwirkungen gefragt und ein Behandlungsplan dazu besprochen.
Für die Analyse wurde einer „intention-to-treat“ Strategie gefolgt und es wurden Multilevel Models berechnet. Da nur wenige Angehörige teilnahmen, konnten deren quantitative Daten nicht ausgewertet werden.
Für die qualitative Substudie mit einem „interpretive description“ Ansatz wurden Teilnehmende zu ihren Erfahrungen mit dem Schmerzmanagement, der Intervention und der Studienteilnahme interviewt. Die Daten wurden schrittweise und systematisch in einem iterativen Prozess analysiert. 

Erwarteter Nutzen / Relevanz
Von 184 geeigneten Patientinnen und Patienten stimmten 34 Patienten, Patientinnen und 9 Angehörige einer Studienteilnahme zu. Mehrfach wurde eine zu grosse Belastung durch die Studie befürchtet und deshalb eine Teilnahme abgelehnt. Acht Patientinnen und Patienten beendeten die Studienteilnahme schon vor Beginn der Interventionsphase meist wegen einer gesundheitlichen Verschlechterung. So nahmen in der Interventionsgruppe 17 Patienten, Patientinnen und 5 Angehörige, in der Kontrollgruppe 9 Patienten, Patientinnen und 4 Angehörige teil. Davon beendeten in der Interventionsgruppe 12 Patientinnen und Patienten und in der Kontrollgruppe 5 Patientinnen und Patienten die Studie. Insgesamt konnten 13 Interviews durchgeführt werden, davon 9 nur mit Patientinnen und Patienten sowie 4 gemeinsam mit Patienten, Patientinnen und Angehörigen.
Die Studienteilnehmenden, 10 Frauen und 16 Männer, waren im Durchschnitt 65.1 Jahre alt (Spannbreite 37-87 Jahre). Die Interventions- und Kontrollgruppe waren vergleichbar bezüglich demografischer und klinischer Charakteristika.
Schmerzen wurden auf einer numerischen Skala von 0-10 gemessen (0 = keine Schmerzen, 10 = stärkste Schmerzen). Die Schmerzen nahmen über die sechs Wochen der Intervention in beiden Gruppen ab, jedoch stärker in der Interventionsgruppe. Zum Ende der Studienteilnahme lagen für Patientinnen und Patienten in der Interventionsgruppe im Vergleich mit der Kontrollgruppe auf der numerischen Skala 0-10 die durchschnittlichen Schmerzen pro Tag um 1.12 (95% CI: -1.56/-0.68) Punkte und die stärksten Schmerzen pro Tag um 1.53 (95% CI: -2.14/-0.93) Punkte tiefer. Die grössere Reduktion der durchschnittlichen Schmerzen pro Tag in der Interventionsgruppe im Studienverlauf war statistisch signifikant (group X time interaction, p = 0.044).
In der Interventionsgruppe konnten die durchschnittliche Schmerzdauer pro Tag und die Beeinträchtigung durch Schmerzen im Alltag gesenkt, die Schmerzlinderung durch Medikamente, das Wissen bezüglich Schmerzbehandlung und die Selbstwirksamkeit gesteigert werden.
Die häufigsten weiteren Beschwerden waren Fatigue, Schläfrigkeit tagsüber, Konzentrationsschwierigkeiten und Übelkeit. Tendenziell nahmen weitere Beschwerden im Studienverlauf in beiden Gruppen ab.
Die Interviews zeigten, dass die meisten Patientinnen und Patienten, inkl. alle Patientinnen und Patienten der Kontrollgruppe, sowie alle Angehörigen das Schmerztagebuch hilfreich fanden. Sie konnten anhand des Tagebuchs den Schmerzverlauf überblicken und sehen, wann sie ihre Schmerzen wie und mit welchem Erfolg behandelt hatten. Zudem konnten sie das Tagebuch im Gespräch mit ihren Ärzten nutzen. Einige Patientinnen und Patienten führten auch nach Studienabschluss das Tagebuch weiter.
Wenige Patientinnen und Patienten berichteten aber von Schwierigkeiten mit dem Schmerztagebuch: Das Ausfüllen ging vergessen oder wurde langweilig, das Angeben der Schmerzdauer oder der Schmerzintensität auf der numerischen Skala 0-10 war schwierig.
Alle Teilnehmenden in der Interventionsgruppe betonten, dass das PRO-SELF© Plus PCP ihr Schmerz-Selbstmanagement unterstützt habe. Sie fühlten sich sicherer und trauten sich zu, ihre ärztlich verordne-ten Schmerzmittel anzupassen. Diese positiven Erfahrungen waren mit den spezialisierten Pflegefachpersonen mit Masterabschluss in Pflegewissenschaft verbunden, welche die Intervention durchführten: Sie hörten aufmerksam zu, hatten genügend Zeit zum Besprechen individueller Probleme, gingen auf Erfahrungen ein, unterstützten das Setzen von Zielen und erklärten verständlich. Zudem erlebten Patienten, Patientinnen und Angehörige sie als sehr kompetente und – ausschlaggebend für die Wirkung der Intervention – vertrauenswürdige Fachpersonen. 
Vereinzelt äusserten Patientinnen und Patienten Schwierigkeiten mit der Intervention, z. B. wünschte ein Patient keine Hausbesuche. Alle Teilnehmenden verneinten jedoch eine Belastung durch die Studie, die meisten würden anderen Personen die Studienteilnahme empfehlen, und zwei Patienten meinten sogar, es sei ein Privileg gewesen, an der Studie teilzunehmen.

Schlussfolgerungen
Soweit wir wissen, war dies die erste Studie im deutschsprachigen Raum, welche die Wirksamkeit einer Intervention zur Unterstützung von ambulanten Patienten, Patientinnen und Angehörigen im Selbstmanagement von krebsbedingten Schmerzen untersuchte. Die Ergebnisse sind limitiert durch die sehr kleine Studiengruppe und entsprechend vorsichtig zu interpretieren. Trotzdem lässt sich festhalten, dass in der Interventionsgruppe eine stärkere Reduktion der durchschnittlichen Schmerzen pro Tag erreicht werden konnte. Die Teilnehmenden schätzten die Intervention positiv ein, insbesondere das Schmerztagebuch und die Unterstützung durch eine vertrauenswürdige Fachperson.
Für die onkologische klinische Praxis lässt sich folgern, dass bei Patientinnen und Patienten mit krebsbedingten Schmerzen der Einsatz eines Schmerztagebuches sinnvoll sein kann und eine kontinuierliche Unterstützung im Schmerz-Selbstmanagement durch eine kompetente Fachperson von Patienten, Patientinnen und Angehörigen begrüsst wird.